Stellungnahme der OG Bielefeld zur RHZ 4/2016 (Siegerjustiz)

1) Einig sind wir mit dem RHZ-Kollektiv darin: Das Thema der juristischen „Abrechnung“ und „Abwicklung der DDR“ durch die BRD-Rechtsprechung braucht die Aufarbeitung seitens der Linken.

2) Genau zu überlegen ist aber, in welcher Form wir als strömungsübergreifende linke Solidaritätsorganisation damit umgehen. Dieses Thema ist in einem Ausmaß komplex, facettenreich, vielschichtig, dem die RHZ 4/2016 nicht gerecht wird. Im Gegenteil: Hier werden historische, politische, soziale und rechtliche Dynamiken so verkürzt und schwarz-weiß gezeichnet, dass wir es für die Organisation RH problematisch finden. Wenn etwa das RHZ-Kollektiv auf S. 29 von „angeblichen Verbrechen der Stasi“ spricht, ist das eine problematische schematische Vereinfachung.

3) Als hilfreich erscheint uns die Unterscheidung zwischen zwei Grundfragen bzw. Blickrichtungen:
a) Was geschah in der DDR? Was war die DDR? Analyse der gut 40 Jahre DDR – unter historischen, politischen, sozialen und rechtlichen Aspekten. Und: Wie bewerten wir die DDR aus unseren – vielfältigen, unterschiedlichsten – links-emanzipatorischen Perspektiven?
b) Wie agieren wir als strömungsübergreifende linke Solidaritätsorganisation? Wie verhalten wir uns gegenüber DDR-Funktionären, die Opfer der bundesdeutscher Repressionsjustiz geworden sind?
Diese beiden Punkte haben natürlich miteinander zu tun. Aber zunächst einmal sind wir als Rote Hilfe gut beraten, wenn wir sie trennen.
Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass die RH nicht jedem Opfer von politischer Repression Unterstützung leistet, sondern nur denjenigen, die politische Repression wegen ihrer linken politischen Betätigung erfahren. In jedem einzelnen Fall ist zu klären, ob linke politische Betätigung, wie sie in der Satzung an Hand von Beispielen umrissen wird, vorliegt und die Repression ausgelöst hat.

4) Das RHZ-Kollektiv vermengt diese beiden Fragestellungen, mit problematischem Ergebnis. Dabei ist es unserer Wahrnehmung nach quasi „in die Falle gegangen“: Der politische Gegner differenziert in punkto DDR in keinster Weise; von BRD-Seite aus wird in jeder Hinsicht – ob offiziell oder massenmedial, juristisch oder politisch – plakativ angeprangert, abgerechnet, vorverurteilt und verurteilt. Das empört und erbittert uns teils ungeheuer, klar. Es darf uns als strömungsübergreifende linke Solidaritätsorganisation aber auf keinen Fall dazu verführen, gleichfalls auf jede Differenzierung zu pfeifen, jede kritische Reflektion als „Antikommunismus“ zu brandmarken etc. – wie es in der RHZ 4/2016 geschieht. (Z.B. S. 43: Beitrag Klaus Eichner: Mit Kritik am MfS begibt man sich als Linke, automatisch, „gewollt oder ungewollt – in das Lager der Antikommunisten“). Im Gegenteil: Gerade das „erste und einzige deutsche Staatssozialismus-Projekt“ braucht unsere ernsthafte, nicht-demagogische Differenzierung.

5) Trotz beiläufig-pflichtschuldiger Lippenbekenntnisse zur „Kritik“ seitens des Redaktionskollektivs: Dass hier ungebrochen einem „autoritären Staatssozialismus“ das Wort geredet wird, plakativ, was eben die Verkürzung, Vereinfachung, Verharmlosung und Bagatellisierung braucht – dieser Eindruck kommt auf beim Lesen der RHZ 4/2016. Eine solche Wirkung finden wir fatal – sowohl als Außenwirkung als auch für das Selbstverständnis unserer Organisation.

6) Wir unterstützen den Vorschlag der OG Dresden, einen RHZ-Schwerpunkt zum Thema „Politische Repression in der DDR“ herauszubringen, und zwar so bald wie möglich. Wenn dabei der kritische Bezug zur Ausgabe 4/2016 ausdrücklich hergestellt wird, dann ist die Wahrnehmung als „Gegenausgabe“ kein Argument dagegen, sondern eines dafür – vorausgesetzt es wird auch eine Gegenausgabe hinsichtlich größerer Differenzierung.

OG Bielefeld, April 2017

 

die RHZ 04/2016 zum Nachlesen als pdf: RHZ_4_2016_web