Out Of Action

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…über traumatisierende Folgen von Polizei- (und anderer) Gewalt – und wie wir da wieder rauskommen

Ein Ziel von Repression und Machtmechanismen ist es, Menschen einzuschüchtern und ihnen ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber staatlicher Herrschaft zu vermitteln.

Wer politisch aktiv ist kann in Situationen kommen, in denen Gewalt gegen einen selbst oder gegen nahe stehende Menschen ausgeübt wird. Dies kann auch von Täter*innen wie Nazis und ähnlichem ausgehen. Solche Angriffe wirken oft auf emotionaler Ebene wesentlich länger nach, als sichtbare körperliche Wunden. Natürlich führt nicht jedes heftige Erlebnis zu einem Trauma.  Da spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle. Wichtig zur Bewältigung von emotionalem Stress ist z.B. ein unterstützendes Umfeld. Ist dies nicht gegeben – z.B. wenn es ein Tabu ist, über Ängste zu sprechen – dann ziehen sich die Betroffenen oft aus ihrem politischen und persönlichen Umfeld zurück. Es sollte unserer Meinung nach Teil eines linken Selbstverständnisses sein eine Basis zu schaffen, die den Umgang mit Angst und den Emotionen nach einem traumatischen Erlebnis ermöglicht.

 

Im Prinzip kann jede gefährliche Situation, in der eine Person handlungsunfähig ist (oder sich so fühlt) zu einer Traumatisierung führen. Mögliche Reaktionen sind:

Widererleben des Erlebten: Alpträume, Flahbacks, immer wieder kehrende Erinnerungen, das Gefühl, dass einen das Erlebte nicht mehr los lässt etc.

Vermeidung- / Verdrängungsverhalten: Erinnerungsverlust, erhöhter Alkohol / Drogenkonsum, Selbstisolierung, Vermeidung von allem, was mit dem Erlebten zu tun hat oder einen daran erinnert, Aufbau einer Distanz zu dem Geschehen etc.

Übererregbarkeit: Schlaflosigkeit, Gereiztheit, Gefühls- und Wutausbrüche, Angst, Panik, Konzentrationsschwierigkeiten, Schreckhaftigkeit etc..

Dies sind normale Reaktionen auf extreme Erfahrungen. In den meisten Fällen verschwinden sie wieder nach 4-6 Wochen. Manchmal tauchen die Reaktionen auch erst viel später auf (Wochen oder sogar Jahre nach dem Ereignis). Viele Menschen haben sie erlebt – und überlebt.

Durch unser Verhalten können wir uns und anderen bei der Verarbeitung von solchen Erfahrungen helfen. Ein Ziel ist dabei, das Trauma in das Leben der Betroffenen zu integrieren – denn es kann nicht ungeschehen gemacht werden und es hat die Person verändert. Menschen reagieren jedoch sehr unterschiedlich auf ein traumatisches Erlebnis  und in unterschiedlicher Intensität.

Mögliche Reaktionen nach einem Trauma
  • nicht in der Lage sein, aufreibende Bilder und Erinnerungen beiseite zu legen, Flashbacks (das Gefühl, wieder in der erlebten Situation zu sein), Alpträume
  • Depressionen, keine Freude am Leben haben, sich allein/verlassen, taub oder abgeschaltet fühlen
  • sich zurückziehen und isolieren, soziale Aktivitäten fallen lassen
  • erhöhter Alkohol/Drogenkonsum
  • Veränderung von Ess- und Schlafgewohnheiten, auch von sexuellen Gewohnheiten
  • Magenschmerzen, Übelkeit, Muskelspannung, Druck, Furcht, Ängstlichkeit, übertriebene Wachsamkeit, Panikattaken, Phobien, Unruhe
  • Schuldgefühle, Scham, Selbstbeschuldigung, Bedauern
  • Unfähigkeit wie gewohnt zu „funktionieren“, Pläne zu machen, Entscheidungen zu treffen
  • Reizbarkeit, Ärger, Gefühlsausbrüche, unkontrolliertes Weinen, innerer Schmerz
  • Selbsttötungs-/Suizidgedanken, Gefühl, dass das Leben keinen Wert/Sinn hat
  • Infrage stellen von politischem Engagement und zwischenmenschlichen Beziehungen
  • Möglicherweise hochkommen von Erinnerungen an vorhergehende Traumata, kein Gefühl für Zukunft haben; nicht daran glauben, dass diese Phase jemals vorbeigehen wird
Was ihr als Gruppe tun könnt
  • Redet VOR einer Aktion darüber, wie gut oder schlecht ihr euch gerade fühlt, wo eure Grenzen sind und werdet euch darüber einig, von wem ihr in unvorhergesehenen Situationen Unterstützung erwartet – auch wenn ihr plötzlich „raus“ wollt und jemanden braucht, der bei euch bleibt. Bildet Bezugsgruppen und passt gegenseitig aufeinander auf
  • Nehmt euch Zeit, um nach einer Aktion darüber zu reden, was passiert ist. Gebt allen, die von euch dabei waren und darüber reden möchten, Raum um zu erzählen wo sie waren, was sie gemacht, gesehen, gehört und was sie dabei gefühlt/gedacht haben. So kann die Geschichte im Kopf vervollständigt und besser verstanden werden.
  • Daran denken: Nicht nur äußerlich verwundete Menschen brauchen Unterstützung und auch Unterstützer*innen brauchen eine Schulter zum Anlehnen
Was Du für Dich selbst tun kannst
  • Sag Dir: Deine Reaktionen sind normal und es gibt Hilfe! Dies ist eine schwere Phase, aber sie geht aller Wahrscheinlichkeit nach vorbei.
  • Sofort nach einer traumatischen Erfahrung: Geh an einen Ort, an dem Du Dich sicher fühlst und lass zu, dass sich jemand um Dich kümmert.
  • Bewegung baut Stress ab. Spazieren oder Laufen ist zur Beruhigung manchmal besser, als sich hinzusetzen.
  • Versuche, Dich nicht zu isolieren. Wende Dich an deine Freund*innen und sag, dass Du Hilfe brauchst.
  • Nimm Dir Zeit, sei geduldig mit Dir und verurteile Dich nicht für Deine Verfassung. Innere Wunden brauchen ebenso Zeit und Ruhe um zu heilen wie äußere.
  • Eine häufige Reaktion ist, dass es Dir weh tut, wenn andere damit besser fertig zu werden scheinen. Mach Dir bewusst, dass Menschen unterschiedlich sind, die Stärke der Reaktionen auch mit vorherigen Traumata zusammenhängen kann und dass es normal ist, nach einer Verletzung Schmerzen zu haben und/oder sich emotional belastet zu fühlen.
  • Dich für das Geschehen selbst verantwortlich zu machen geht oft mit einem Trauma einher. Mach Dir klar, dass das Geschehene nicht Deine Schuld ist – die Schuld liegt bei den Täter*innen.
  • Familie und Freunde wissen oft nicht, wie sie mit Deiner Verfassung umgehen können. Sprich sie an, wenn Du ihr Verhalten nicht als hilfreich empfindest, sag, was Du brauchst.
  • Verdrängen wirkt sich auf lange Sicht negativ aus und schränkt Dich ein.
  • Lerne mehr darüber, wie Trauma funktioniert. Je mehr Du verstehst, desto einfacher ist es für Dich, Deine Reaktionen einordnen zu können.
Wie Du Deine Freundin/Deinen Freund unterstützen kannst
  • Warte nicht, bis Du um Hilfe gefragt wirst, sondern sei einfach für sie/ihn da. Gib nicht auf, auch wenn Du vielleicht das Gefühl hast, vor einer Mauer zu stehen.
  • Die Tage direkt nach der Erfahrung sind besonders wichtig zum Reden, danach wird oft „zugemacht“.
  • Vielleicht fühlst Du Dich unsicher und weißt nicht, wie Du Dich verhalten sollst. Informiere Dich über Trauma, um die Reaktionen besser verstehen zu können. Einfach „normal“ sein, ohne zu bemitleiden und ohne aufdringlich zu sein, kann viel helfen. Bemühe Dich gleichzeitig, den Reaktionen gegenüber tolerant zu sein. Das Wichtigste ist, dass Dein*e Freund*in  sich in Deiner Gegenwart wohl und sicher fühlt.
  • Traumatisierte Menschen isolieren sich häufig und haben Schwierigkeiten, um Hilfe zu bitten. Sie wollen kein Mitleid, sondern Verständnis, keine aufgedrängte Hilfe, sondern Einfühlungsvermögen.
  • Vergiss nicht, dass Menschen nach traumatischen Erlebnissen anfangs oft o.k. erscheinen und die Reaktionen erst später auftreten können.
  • Sei ein*e gute Zuhörer*in. Vermeide es, zu bald, zu lange und zu viel zu reden. Oft tendieren wir dazu Rat zu geben, anstatt wirklich zuzuhören…
  • Chronologisches Erzählen hilft, das Erlebte zu verarbeiten. Ermutige dein*e Freund*in behutsam aber ohne Druck, das Erlebte der Reihenfolge nach zu erzählen: Gefühle, Sinneseindrücke, Gedanken…
  • Traumatisierte Menschen empfinden oft die Erledigung selbst kleiner Aufgaben als sehr schwer. Kochen, Abnehmen von Verantwortlichkeiten etc. können sehr hilfreich sein, aber achte darauf ihre/seine Selbstbestimmung nicht einzuschränken.
  • Gereiztheit und Undankbarkeit sind „Symptome“, die sehr häufig vorkommen. Nimm es nicht persönlich und mach Deine Unterstützung nicht davon abhängig.
  • Zu sagen „Jetzt müsstest Du aber langsam mal darüber hinweg sein, nimm Dein Leben in die Hand“ erreicht meistens nur, dass traumatisierte Menschen sich unverstanden fühlen und Distanz einnehmen.
  • Bohren, d.h. krampfhaft versuchen, die Person dazu zu bringen über etwas zu reden, worüber sie nicht reden will, bewirkt Rückzug und Distanzierung.
  • Durch einen Mangel an Unterstützung können die Reaktionen verstärkt werden. Dass von Täter*innen keine gute Behandlung zu erwarten ist, ist klar, aber wenn jemand hinterher das Gefühl hat, seine/ihre Freund*innen sind nicht für ihn/sie da, bricht die ganze Welt zusammen. Dies kann oft schwerwiegender sein, als das Erlebte und ist daher äußerst ernst zu nehmen. Achte darauf, dass Dein*e Freund*in sich nicht alleine gelassen fühlt.
  • Auch für Dich gilt – diese Zeit kann sehr schwer sein, aber sie geht vorbei. Pass auf Dich auf und sei gut zu Dir. Rede mit einem Menschen darüber wie es DIR geht.
  • Gute Therapeut*innen können helfen. Ein Trauma ist eine innere Verletzung und kann genau so behandlungsbedürftig sein wie eine äußere. Der/die Therapeut*in sollte Erfahrung mit Trauma-Arbeit haben und vor allem Deine politische Motivation akzeptieren.

siehe auch (englisch): https://www.activist-trauma.net/

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